1923: Übernahme durch Otto Eccard aus Tengen. Dieser hatte dort von 1913 bis 1923 mit Unterbrechung 1914 bis 1918 durch den im ersten Weltkrieg geleisteten Kriegsdienst die Stadt-Apotheke geleitet. Die in der Chronik geäußerte Vermutung, daß Kollmar und Eccard verwandt gewesen waren, kann wohl ausgeschlossen werden, da die Apotheke nicht lückenlos weitergegeben und andere Interessenten dazwischen im Gespräch waren.

Otto Eccard wurde am 30.10.1876 in Freiburg geboren, bestand die Vorprüfung am 18. September 1895 und erhielt die Approbation am 16. Mai 1900. Er war Kriegsteilnehmer und erhielt am 4. Juni 1917 das Eiserne Kreuz, am 8. August 1917 das Verdienstkreuz des Orden des Zähringer Löwen (Baden) und 1924 das "Hindenburg-Abzeichen für aktiven Kriegsdienst". Als Gefechtsteilnehmer und Veteran läßt sich eventuell das spätere Verhalten erklären, da das posttraumatische Belastungssymptom zur damaligen Zeit etwas vollkommen Unbekanntes war.

Die Übernahme stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Eccard erhielt die Konzession am 22. August 1923, konnte die Apotheke aber erst am 21. Februar 1924 übernehmen. Für die Einrichtung hatte er 6000, für die Spezialitäten (Arzneimittel und Rohstoffe) 5600 Mark zu entrichten. Die Miete für die Ladenräume und das Privatquartier betrugen 1500 Mark. Dagegengerechnet lag der durchschnittliche Rezeptumsatz 15,9 (!) Stück/Tag und der Durchschnittsumsatz 60,42 Mark - nicht viel.

Schon im ersten Brief der Revision vom 10. Juni 1925 beklagt er sich über Geldprobleme durch den Krieg und die darauf folgende Inflation. Auch Probleme bei der Abgabe der Apotheke in Tengen und die daraus verspätete Übernahme der Steinemer Apotheke waren Grund zur Sorge. Die Apotheke selbst, durch "verminderte Arbeitskraft und Krankheit des Vorgängers" vernachlässig, machten ihm zu schaffen. Wörtlich schreibt er: "...bin ich so nervös geworden, daß ich im Interesse eines geordneten geschäftsbetriebes gezwungen bin, eine ständige Hilfskraft zu halten". Obwohl die Apotheke eigentlich in Alleinarbeit zu bewältigen wäre, wie er ausdrücklich betont.

Auch in anderen Bereichen warten Probleme: in einem amtlichen Brief an die Badische Apothekenrevision Heidelberg schreibt er am 20.10.1925, daß er die Räumlichkeiten "infolge der Eigenart der Hausbesitzerin" verlegen möchte. Auch der gesundheitliche Zustand wird merklich schlechter. Das "wiederholte starke Unwohlsein", das er beschreibt, schlägt sich in der stark verwitterten Handschrift nieder.

Eine kleine Anekdote von Frau Bertsch auch hier: das Haus in der Jahnstraße hatte den Besitzer gewechselt und war im Besitz eines Fräulein Waldauers. Im Haus wohnten ebenfalls ein Lehrer (Eckard?) mit seiner Familie und seinen Kindern. Letztere waren offensichtlich der Besitzerin ein Dorn im Auge, denn immer wenn die Kinder im Garten des Grundstücks spielten, ertönte eine schrille Stimme aus der Dachwohnung der Gibelseite Richtung Eisenbahn. Das Fenster dort war nur so groß, daß man den Kopf des Fräulein Waldauers sehen konnte. Apotheker Eccard, dem das Hin und Her wohl auch auf den Geist ging, kommentierte die Erscheinung mit seiner ebenfalls nicht leisen Stimme mit den Worten "der Mond ist im Zunehmen!". Frau Bertsch, die als Kind ja gerade auf der gegenüberliegenden Seite wohnte, konnte diese Szenen oft genug mitverfolgen.
Ein kleiner Hauch Geschichte weht auch durch diese Zeit bis in die 50er Jahre: am 04.11.1948 stellt die Apothekerin Elisabeth Eickelberg, verh. Seelis aus der Erkrather-Apotheke Düsseldorf den Antrag auf Abschrift und Bestätigung einer Urkunde. Sie war vom 1.1.26 bis 31.3.26 vertretungsweise in Steinen beschäftigt. Die Urkunde wurde bei einem Luftangriff im zweiten Weltkrieg auf Düsseldorf zerstört.

 

Otto Eccard verlegt die Apotheke schließlich am 18.01.1927 in die kleineren Räume der Bahnhofstraße zurück, vermutlich bedingt durch seine Probleme. Der Apotheker Konrad Bayerlein arbeitet als Angestellter. Bayerlein unterzeichnet die Benachrichtigung an das Gesundheitsamt über den Umzug. Für einen in der Ortschronik erwähnten Apotheker Julius Mayer gibt es keinen Beleg in den amtlichen Unterlagen.

Leider hatte Eccard in der Zwischenzeit die denkbar schlechteste "Lösung" für seine Probleme gefunden: er wurde suchtkrank. Es ist von Alkohol die Rede, wohl auch Morphin. Das fällt auf. Die Gemeindeverwaltung wird zuerst aktiv, das Innenministerium nimmt am 30.03.1927 zur Anfrage des Bürgermeisteramtes Steinen zur Bestellung eines Verwalters/Abwesenheitspflegers/Vormundes Stellung.

Die Eskalation findet ihren Höhepunkt Mitte 1927: am 16. Juni 1927 wird Otto Eccard auf Antrag seiner Familie aus Dürckheim/Pfalz wegen Alkoholdeliriums in die psychatrische Klinik Freiburg zwangseingewiesen. Am 23.09.1927 wird die Apotheke unter Verwaltung des Apothekers Fritz Haenle gestellt. Das Innenministerium weist den Apothekenvisitater Dr. Weiss aus Heidelberg an, "...werden ersucht, ... besonders über die Verhältnisse ... zu berichten". Was auch amtlicherseits relativ engmaschig kontrolliert wird: am 30.07.28 und am 23.06.30 finden Revisionen statt.

Am 30. Juli 1927 wird Otto Eccard von Freiburg in die Pflegeanstalt Konstanz entlassen. Die Diagnosen: Delirium tremens, aber mit dem Hauptsymptom "atypische Verwirrtheit". Bei der Apothekenrevision am 30.07.28 und dem Briefwechsel bis 14.10.1928 werden allerdings keine größeren Mängel festgestellt.

Laut Ortschronik wurde die Apotheke amtlicherseits im Einvernehmen mit Eccard dem Bruder des Inhabers, Apotheker Christian Eccard aus Bad Dürkheim (Pfalz), als Pfleger unterstellt. Dies ist nicht in den Akten des Gesundheitsamtes belegt. Ebensowenig, daß der Bruder 1927 einen Otto Krohne als Verwalter bestellt.

Erzählungen zufolge war die Sucht von Eccard so ausgeprägt, daß z.T. im Verlauf des Vormittages die Ansprechbarkeit stark eingeschränkt war und die Arzneimittelabgabe durch eine Helferin, dem Fräulein Meier erfolgte. Diese wohnte als "altes Jüngferle", wie Frau Bertsch liebevoll umschreibt, im Haus in der Bahnhofstraße und fungierte als guter Geist. Sie übernahm auch das Heraussuchen der Rohstoffe und die Herstellung der Präparate, wenn der Apotheker Eccard dazu nicht mehr in der Lage war. Die Familie von Frau Bertsch, deren Vater der Ingenieur Ernst Hänßler war, war durchaus wohlhabend und konnte die Tochter aufs Gymnasium schicken - eine große Ausnahme zur damaligen Zeit. Deshalb hatte die Tochter stets Kontakt zum akademischen Haushalt des Apothekers. Sie machte auch Besorgungen für das Fräulein Meier und wurde dafür stets mit einem kleinen Fläschchen "Kölnisch Wasser" belohnt.

In den heutigen Zeiten wäre eine solche Vorgehensweise vollkommen undenkbar und hätte einen sofortigen Entzug von Betriebserlaubnis und Approbation zur Folge. Andererseits ist dies aber auch ein Zeichen, daß der Umgang und die Akzeptanz von Suchtverhalten in der ansonsten immer als „streng“ bezeichneten „guten alten Zeit“ weitaus toleranter als in unserer heutigen, „aufgeklärten“ Gesellschaft war.

Selbst als sich 1933 der politische Wind stark dreht und zu einem vernichtenden Sturm wird, passiert Eccard nichts. Er wird zwar hinsichtlich der "Rassehygiene" als "Erbkranker" eingestuft - die Heil- und Pflegeanstalt Konstanz macht hier am 28.11.1934 pflichtschuldig "Anzeige gemäß Artikel 3 Abs. 4 zum Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 05.10.1933", in der sie diagnostiziert: "leidet an schwerem Alkoholismus, machte 2x ein Delirium tremens durch. War 1927 deswegen in der psychatrischen Klinik in Freiburg". Die Anzeige wird an das Bezirksamt Lörrach adressiert. Aber sonst passiert nichts. Eccard arbeitet mit wechselnden Apothekerinnen, so am 01.10.1933 Apothekerin Angela Herrel, geb. 18.11.1902 in Adelsheim, Baden, in Steinen bis 30.09.1935 um eine Stelle in Gau-Algesheim anzutreten, danach ab 01.10.1935 Frl. Apothekerin Margarete Weigand aus Achern, geb. am 03.03.1899, Approbation 1928, danach am 08.04.1936 Apothekerin Gertrud Maus, geb. Knab, geb. am 21.02.1903 in Offenburg, Approbation 1928, ausgetreten knapp drei Monate später am 07.10.1936. Es folgt die Apothekerin Anna Klostermann.

Die schnellen Wechsel zeigen, daß es im Verhalten Otto Eccards keinen grundlegende Verbesserung gegeben hat. Jetzt wird es der Verwaltung zu bunt: in einem Brief vom 18.06.1937 beschwert sich der Kreisabteilungsverwalter Dr. Kirchhofer beim Kreisfachschaftsleiter Dr. Frey über Eccard. Er beschreibt ihn als allgemein bekannten Alkoholiker und Morphinisten und daß sich vermehrt Probleme mit Rezepten und Falschabgaben ergeben würden. Ausschlaggebend war wohl, daß Eccard einen Patienten mit einem "unleserlichen" Rezept zum Arzt zurückgeschickt hatte, der dies nicht auf sich sitzen lassen wollte und es zwei Bekannten ohne medizinisch-pharmazeutischer Bildung vorgelegt hatte. Beide konnten das Rezept ohne Probleme entziffern.

Der Kreisfachschaftsleiter reagiert umgehend. Der Brief, der am folgenden Tag zurückgeht zeigt, daß die Problematik bekannt ist. Eccard steht zwar unter der Auflage, ständig eine verantwortliche Apothekerin in der Apotheke zu haben, bekommt aber angeblich kein Personal - was unter den Umständen auch nicht verwunderlich ist. Als Lösung wird eine Verpachtung vorgeschlagen. Eccard möchte auf 3 Jahre verpachten, wird aber vom Kreisfachschaftsleiter auf einen Zeitraum von 5 Jahren "hochgedrückt": die Apotheke sei zu heruntergewirtschaftet, als daß ein Pächter innerhalb von drei Jahren Umsätze steigern und auch etwas davon haben könne. Erst mit 5 Jahren erscheine dies wirtschaftlich. Als Pächerin wird Angela Herrel vorgeschlagen, die von 33 bis 35 in der Apotheke gearbeitet hat. Eccard geht schließlich darauf ein. Statt der favorisierten Apothekerin Herrel kommt Apotheker Julius Schmidt nach Steinen.

Otto Eccard stirbt am 08. März 1941 in Freiburg i. Br. (Günterstal, im Entengarten 4).